0. Tag (Donnerstag)
Jonas war erwachsen geworden. Zumindest auf dem Papier.
Wie sollte das auch vor dem Kollegium und den Klassen aussehen. Er war 25 Jahre alt und bereit für das Leben. Das echte Leben. Das Lehramtsstudium war abgeschlossen.
“Konnte es nicht verdammt nochmal anders kommen?”, fluchte er in sich hinein, starrte gedankenverloren in sein Handy und wich routiniert einem vorbeifahrenden Fahrrad aus. Mit schnellem Finger scrollte er durch den Nachrichtenverlauf. Da war sie.
Trixi war 26, schön und scheinbar an die gleiche Schule gekommen wie er. Der Chat endete damals von ihrer Seite mit den unschönen Worten “Melde dich nie wieder bei mir…”. Und mit genau dieser Attitüde zeigte sie ihm auch heute, bei ihrer gemeinsamen Einführungsveranstaltung, die kalte Schulter. “Ach egal”, dachte er, “wird schon werden.”
Aber so cool, wie Jonas oft von außen wirkte, oder viel mehr wirken wollte, war er nicht. In seinen Träumen bewegte ihn die Geschichte noch immer. —
Mitten in der Nacht schrecke ich auf. Ich greife nach meinem Mobiltelefon und starre auf die Zeit: 3.30 Uhr. Ich weiß nicht, ob es Zufall oder irgendetwas Höheres ist, aber genau in diesem Moment bekomme ich eine Nachricht von Trixi.
“Hey du, ich muss dir schreiben, weil ich nicht schlafen kann. Es tut mir leid, dass ich dir heute nicht Hallo gesagt habe. Ich war einfach zu verletzt. Ich will nicht, dass das irgendwie blöd zwischen uns wird und wir die nächsten 18 Monate einfach irgendwie durchstehen. Ich hab gehört, dass du ja ziemlich glücklich bist. Ich bin es auch. Also, alles gut. Gute Nacht.”
Ich spüre ein Gefühl in mir, dass sich irgendwo zwischen “Egal” und “Ich fasse es nicht!” befindet. Ich lege das Telefon beiseite, nehme es aber gleich wieder zur Hand, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume.
Warum? Wieso sie? Wäre es nicht meine Pflicht gewesen auf sie zuzugehen? Schreibe ich zurück? All diese Gedanken koche ich in meinem Kopf immer wieder auf und verwerfe sich anschließend doch.
Wie so oft in der Vergangenheit reagiere ich nicht, starte eines der Hörbücher von Friedrich Nietzsche auf meiner Spotify-Gute-Nacht-Playlist und schlafe friedlich ein.